Folgenden Bericht über die Bemühungen, an ihre Akten zu kommen – die Zeichen und Beweise also, dass sie ihr Leben überhaupt gelebt wurde und sie sich ihre eigene Existenz nicht einfach nur einbildete – schrieb ein ehemaliges Heimkind und Mitglied im Verein ehemaliger Heimkinder e.V.
Wir dokumentieren diesen Bericht unkommentiert in 4 Folgen. Unkommentiert zwar, weil es diese Überlebende gut in der Lage war, ihre Suche, ihre Bemühungen, ihren Frust und ihre Verzweiflung selbst – und dazu sehr plastisch – zu schildern. Unkommentiert natürlich auch deshalb, weil sich jeder Kommentar verbietet angesichts dieser Behördenwillkür, dieser eklatanten Arroganz und Unverschämtheiten, die hier über ein ehemaliges Heimkind gehäuft werden, die eigentlich erstmal nur eines will: Wissen, wer sie ist!
Wie heißt es doch so schön im Abschlussbericht des „Runden Tisches Heimerziehung der 50er und 60er Jahre?
„Grundsätzliches Einsichtsrecht der Betroffenen
(…)
Grundsätzlich ist den Betroffenen nach diesen Regelungen Auskunft zu erteilen über
die zu seiner Person gespeicherten Daten, auch soweit sie sich auf die Herkunft dieser Daten beziehen,
die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, an die die Daten weitergegeben werden und,
den Zweck der Speicherung.“ (RTH-Abschlussbericht, S. XIX)
„In der Praxis erweisen sich immer wieder die Finanzierung und die Bereitstellung von Ressourcen als Problem. Die Akteneinsicht erfordert aufseiten der Institutionen einen erhöhten Aufwand: Die Aktensuche, das Kopieren und ggf. Schwärzen der Akten und die Begleitung der Akteneinsicht bedeuten Personaleinsatz und Sachkosten. Viele ehemalige Heimkinder leben heute von ALG II, Grundsicherung oder sehr niedrigen Renten. Immer wieder wird berichtet, dass Behörden und Einrichtungen für die Akteneinsicht zum Teil erhebliche Bearbeitungsgebühren erheben und keine Kosten übernehmen. Auch die Reisekosten zur Übergabe der Akte werden oft nicht erstattet. Die niedrigen Einkommen vieler ehemaliger Heimkinder ermöglichen derartige Zahlungen jedoch nicht. Manche
Stellen lehnen die Akteneinsicht generell ab und begründen dies damit, dass keine personellen Ressourcen bereitstünden, um nach Akten zu suchen.
In diesem Zusammenhang ist aus Sicht des Runden Tisches auf die besondere Verantwortung der mit der Heimunterbringung befassten Institutionen und Einrichtungen hinzuweisen. Die Akteneinsicht steht in unmittelbarem Zusammenhang mit den Aufgaben und Pflichten der jeweiligen Institutionen und Einrichtungen – auch wenn die Unterbringungen bereits viele Jahre zurückliegen und auch wenn „nur“ die Rechtsnachfolge besteht.“ (ebda., S. XXIV)
Teil 1: Heimakten und Informationen
Seit 2009 bin ich ja nun darum bemüht, meine Heimakten einzusehen, bzw. sie vielleicht sogar zu erhalten. Als erstes bekam ich die Auskunft, dass sich diese im Keller eines einsturzgefährdeten Hauses befinden. Als ich dennoch weiter fragte, erhielt ich Ratschläge in die Richtung gehend, dass ich doch jetzt schon so alt geworden sei und die Vergangenheit endlich ruhen lassen sollte.
Auf meine Rückfrage, wessen Vergangenheit ich denn ruhen lassen sollte, erhielt ich bis heute keine Antwort.
Als nächstes wurde mir mitgeteilt, die Akten seien vernichtet. Also bat ich darum, das Vernichtungsprotokoll einsehen zu dürfen. Bis heute: Keine zufriedenstellende Reaktion.
Zusammenfassend habe ich folgende Auskünfte erhalten:
• Die Akten sind inzwischen nicht mehr im einsturzgefährdeten Keller
• Die Akten seien vernichtet
• Vernichtungsprotokolle sind der Jugendamtsleitung unbekannt
• Heimakten seien Verwaltungsakten, auf die der Bürger keinen Zugriff habe
Im Grunde habe ich zwar eine Information erhalten, die meine alte Heimakte als vernichtet erklärt. Aber: alle weiteren Informationen sprechen eine Vernichtung überhaupt nicht mehr an, sodass ich davon ausgehe, die Akte gibt es noch.
Natürlich habe ich auch andere Wege zu gehen versucht. So habe ich mit einer erweiterten Meldeauskunft angefangen, damit ich zumindest meinen Aufenthalt im Kinderheim belegen konnte. Auch diese Aktion war nicht ohne Probleme zu erledigen:
Zunächst wurde bei mir angerufen und man erkundigte sich, was ich denn mit den Daten wolle.
Danach wurde mir erklärt, es lägen keine Daten für den Zeitraum vor 1981 vor. Als ich dagegen Einspruch erhob, wurde mir vorgeworfen, es hätten sich 4 Personen 5 Stunden mit meinem Anliegen beschäftigt, ohne zu einem Ergebnis zu kommen. Weitere Kommentare dazu erspare ich mir.
Eine Beschwerde beim Amtsleiter erbrachte, dass mehrere Namen existieren, die ich in meiner Kindheit zwar irgendwann einmal gehört hatte, die aber angesichts meiner Geburtsurkunde bedeutungslos wurden.
Fakt ist, hier greift der Datenschutz für Personen, die es nie gegeben hat und auch heute nicht gibt. Die Daten zusammen führen zu wollen, schien der Anarchie gleich zu kommen.
Nach vielem Hin und Her erhielt ich dann doch die beantragte Meldeauskunft mit dem Hinweis, meine Eltern seien verstorben.
Dieser Hinweis wurde jedoch umgehend dahin korrigiert, dass es nur einen Elternteil betreffen würde. Wer jetzt verstorben war, wollte mir die Dame wieder aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht sagen. Vielleicht treffe ich hier auch einmal auf jemanden mit Verständnis dafür, dass mir dann auch einmal der Kragen platzt.
Diese Vorfälle habe ich zum Anlass genommen, mich an den Oberbürgermeister meines Wohnortes zu wenden und diesen um Mithilfe zu bitten. Was soll ich sagen – zunächst keine Reaktion. Also, erneute Kontaktaufnahme, dieses Mal an eine Beschwerde gekoppelt. Wochen später erhielt ich dann einen Anruf. Zunächst wurde mir erklärt, dass die von mir vorgebrachten Vorfälle gar nicht sein könnten, denn gerade die entsprechende Dame sei auf ihrem Gebiet eine Fachkraft. Ein solches Verhalten habe ich mir verbeten, denn ich führe niemals grundlose Beschwerden.
Da nun – wie bei meinem Namen – auch bei meinen Eltern etwas schief gelaufen war, musste ich mich an den Wohnort meiner leiblichen Eltern wenden.
Das tat ich dann auch. Das heißt, ich habe mich erst einmal im Internet kundig gemacht und die entsprechenden Kontaktdaten ermittelt. Die entsprechende Auskünfte sollten 8,- € pro Kopf kosten. Ich zahlte ich die Gebühren und erbat entsprechende Auskünfte.
Die Rückantwort konfrontierte mich dann mit einer weiteren Gebührenforderung, sodass ich letztlich auf einen Gesamtsatz von 76,- € kam. Der Grund für die plötzlich so hohen Gebühren: es könne sich um Informationen aus alten Datenbeständen handeln, aber sicher wäre man sich da nicht.
Das wollte ich so nicht hinnehmen. Also habe ich meine 16,- € zurück erbeten und schon hatte ich wieder Ärger. Nachdem ich zweimal angerufen und mit einem Umgangston konfrontiert wurde, den ich mir in meinem früheren Berufsleben keinem Gegenüber hätte erlauben dürfen, habe ich mich kurzerhand beschwert – ganz oben.
Kurze Zeit später rief mich ein sehr netter Herr aus dem dortigen Standesamt an. Er war sehr darauf bedacht, friedlich mit mir umzugehen und erbat das auch von mir. Da ich grundsätzlich kein Problem damit habe, freundlich auf Mitmenschen zuzugehen, konnte ich ihm das auch ohne weiteres zusagen.
Mit diesem Menschen zu arbeiten, empfand ich angesichts meiner bisherigen Erfahrungen als sehr angenehm. Binnen 1 ½ Wochen hatte ich alle gewünschten Unterlagen und das kostenlos, weil ich nach meinem Antrag nach dem OEG ein Aktenzeichen vorlegen konnte.
Ein kurzes Wort noch zu der Gebührenforderung: Meine Anfrage konnte ohne weiteres aus Datenbeständen der letzten Zeit beantwortet werden. Die Forderung der zusätzlichen Gebühren von 60,- € erfolgte somit grundlos. Meine 16,- € habe ich zurück erhalten.
Aus den Unterlagen konnte ich aber auch entnehmen, dass meine leiblichen Eltern seit Jahren verstorben sind. Das ist schon alleine deshalb schade, weil meine Fragen an sie auf ewig unbeantwortet bleiben werden.
Teil 2: Kinderheim und Pfarrgemeinde
Es hat über ein Jahr gedauert, ehe ich aus dieser Richtung überhaupt eine Reaktion auf meine Anfrage feststellen konnte.
Im Kinderheim erklärte mir die jetzt dort tätige Leiterin, es gäbe keine Akten mehr. Als die seinerzeit dort tätigen Ordensschwestern das Haus verließen, haben sie alle Akten und Unterlagen mitgenommen. Auch die Akten der zu diesem Zeitpunkt dort lebenden Kinder habe sie mit abgeben müssen. Im Pfarrbüro bräuchte ich es erst gar nicht versuchen, da dort auf entsprechende Anfragen gar nicht reagiert würde.
Also fragte ich im Mutterhaus der Ordensschwestern nach. Von dort erhielt ich die Antwort, dass die Akten an das zuständige Erzbistum abgegeben wurden, da das Kinderheim aufgelöst worden sei. Weiter bezog man sich auf das Kirchenrecht.
Über ein Jahr hat es gedauert, ehe eine Reaktion aus der Pfarrgemeinde zu verzeichnen war, die auch heute noch Träger des durchaus nicht aufgelösten Kinderheimes ist. Es wird wohl niemanden verwundern, dass ich auch hier einen weiten Umweg über das zuständige Erzbistum und die Bischofskonferenz machen musste.
Es ist aber doch ein Unterschied auszumachen, ob sich jemand im Licht der Öffentlichkeit der Hilfe in Sachen Heimakten verschreibt, oder ob man sich mit ehemaligen Heimkindern direkt befassen muss. Meine Bemühungen liefen im Grunde ins Leere. Man könnte auch sagen, die dafür aufgebrachte Energie ist sozusagen in einem schwarzen Loch verschwunden. Zumindest konnte ich erfahren, dass noch Akten aus den Jahren 1892 bis 1925 existieren. Leider nicht mein Jahrgang.
Also bin ich dem Pfarrer der Kirchengemeinde auf die Nerven gegangen und schließlich erhielt ich tatsächlich Antwort. Es kam zu einem Gesprächstermin, in dem mir zuerst erklärt wurde, die Akten befänden sich im Archiv des Erzbistums. Da sich das Archiv der Pfarrgemeinde tatsächlich zur Ordnung und Sichtung dort befand, war die Aussage korrekt.
Wichtig war für mich noch zu erfahren, dass das es das von den Ordensschwestern angesprochene Kirchenrecht in der genannten Form gar nicht