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28.03.2024

Generation Vielfalt
Seit Jahren attestieren die Experten der deutschen Jugend eine „beunruhigende Normalisierung“. Gleichzeitig finden sich immer vielfältigere Jugendkulturen. Inwiefern verändert der steigende Anteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund diese Szenen in Deutschland?
Mit dieser Frage beschäftigen sich Experten wie der renommierte Jugendforscher Klaus Farin bei einer öffentlichen Gesprächsrunde am 30. Juni im Tanzhaus NRW in Düsseldorf. Die Veranstaltung findet im Rahmen des vom Land Nordrhein-Westfalen geförderten Programms interkultur.pro statt.
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Düsseldorf, 22.06.2010 – Sex, Drugs and Rock ´n´ Roll: Das war ein Mal. Den Experten ist die heutige Jugend nicht mehr rebellisch genug, sondern im Gegenteil zu angepasst. Sie fordere den Mainstream kaum noch heraus und handle vor allem pragmatisch. Für Politik würden sich junge Menschen nur noch wenig interessieren, während Werte wie Ordnung, Sicherheit und Familie bei ihnen wieder „in“ seien.

„Das Prekäre ist das zentrale Merkmal dieser Generation“, sagen die Soziologen. Die „Krisenkinder“ (Der Spiegel, 25/2009) suchen vor allem Halt in ihren Jugendkulturen: Hip-Hopper, Punks, Metaller oder Sprayer. Diese „temporären Sinn-Gemeinschaften“ bieten Ordnung und Orientierung in einer unsicher gewordenen Gesellschaft und stellen für die Jugend eine Kompromisslösung zwischen Abgrenzung und Identifikation dar. Die unterschiedlichen Szenen wären aber nicht so anziehend, wenn sie nicht auch einen enormen Freiheitsgewinn für ihre Mitglieder brächten.

Die Vielfalt gegenwärtiger Jugendkulturen ist so faszinierend, wie für Außenstehende verwirrend. Die Marketingstudien der letzten Jahre haben zwischen 400 und 600 Jugendszenen und -stile in Deutschland gezählt. Sie sind an die Stelle der großen Jugendbewegungen der Vergangenheit getreten und verstehen sich nur selten als „Gegenkultur“. Bislang wurde jede neue Jugendkultur irgendwann von kommerziellen Interessen vereinnahmt und strandete deshalb im Mainstream, erklärt der Leipziger Soziologe Dieter Rink. Kurz gesagt: Die Jugendkulturen sind heute Teil des Systems.

Klaus Farin, Gründer und Leiter des Archivs der Jugendkulturen in Berlin, korrigiert diese Analyse: „Die Jugend war ja nie rebellisch. Es waren ja immer nur Minderheiten. Die Mehrheit jeder Generation ist hingegen bieder, spießig, konsumtrottelig und unengagiert.“ Auch Farin konstatiert ein gewisses Erlahmen des jahrzehntelangen jugendlichen Innovationsschubs: „Das typische Kennzeichen heutiger Jugendkulturen scheint zu sein, dass sie alt sind. Alle Jugendkulturen, die es jemals gab, existieren heute noch. Seit den neunziger Jahren entstehen keine großen Jugendszenen mehr. Die letzte dominante Jugendkultur ist im Augenblick noch HipHop.“ Heute sorgt das „Crossover“, der ständige Mix der bestehenden Stilrichtungen, für Dynamik. Zur Normalität der heutigen Jugendlichen gehört es bis zu sechs unterschiedliche Szenen zu durchlaufen. „Die zentrale Botschaft heutiger Jugendkulturen scheint zu sein: Wenn du glaubst, mich mit einem Blick einschätzen zu können, täuscht du dich gewaltig“, erläutert Farin.

Ein signifikant innovatives Element ist der steigende Anteil von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland. Allerdings weiß die Mehrheitsgesellschaft noch sehr wenig über sie. So berichten die Medien etwa über türkische oder russlanddeutsche Jugendliche häufig als „Problemgruppen“, die entweder als schlecht integriert oder besonders aggressiv dargestellt werden.
In Wahrheit setzen Jugendliche mit Migrationshintergrund beiderlei Geschlechts längst kreative Impulse in den deutschen Jugendkulturen. Vor dem Hintergrund, dass sie über vielfältige Ausdrucksformen verfügen und verschiedene Identitäten verbinden, ist das keine überraschende Tatsache.

Die Broschüre „Jugendkultur zwischen Islam und Islamismus. Lifestyle, Medien und Musik“, die das Berliner Netzwerk „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ im Jahr 2008 mit Unterstützung der Bundesregierung veröffentlichte, stellt die Bedeutung des Crossovers besonders für Migranten dar. Eine interessante Mischform von Subkulturen in Deutschland ist zum Beispiel der „Pop-Islam“: Einerseits hören Jugendliche Hip-Hop, tragen Markenkleidung und wollen Karriere im Musikgeschäft machen. Andererseits vertreten sie gleichzeitig eher konservative Moralvorstellungen, wie zum Beispiel sexuelle Enthaltsamkeit vor der Ehe, Abstinenz oder Konsumverzicht.

Die große Mehrheit der Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist durchaus bereit, interkulturell verständigend zu wirken, sobald ihnen kreative Räume und Partizipationsmöglichkeiten eingeräumt werden. Ernsthaft rebellisch oder gewaltbereit ist nur eine sehr kleine Minderheit.
Einige Projekte im Rahmen der RUHR.2010 zeigen, dass die Transformation der Gesellschaft nicht zwangsläufig durch politische Rebellion erfolgen muss, sondern auch durch die künstlerische Entfaltung der Jugend gefördert werden kann.


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