Lesematerial zum Lesenlernen in jedem Alter
Pisa brachte es nicht an den Tag, aber in die öffentliche Debatte: mindestens vier Millionen Bürgerinnen und Bürger in Deutschland verfügen nur über rudimentäre Lesekenntnisse, konstatiert der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung e.V.. Grund genug für den niederländischen Verlag Eenvoudig communiceren sein erfolgreiches Konzept auch auf Deutschland auszudehnen.
Seit zwei Jahren gibt der Verlag unter dem Label „Spaß am Lesen“ mit Sitz in Münster Bücher für Menschen mit Leseschwächen heraus. Diese sog. „funktionalen Analphabeten“ verfügen über Lesekenntnisse, die es ihnen nicht erlauben, Zeitungen, behördliche Briefe oder Bücher zu lesen und zu verstehen.
Ein Verlag vermittelt Spaß am Lesen
In den Niederlanden agiert „Eenvoudig communiceren“ seit 1994 als Verlag und Anlaufstelle für Menschen mit Leseschwierigkeiten. „Wenn man Analphabetismus bekämpfen will, muss man den Menschen die Möglichkeit geben zu lesen,“ so das Credo von Geschäftsführer Ralf Beekveldt. „Denn Lesen lernt man am besten, indem man es tut.“ Wer aber nur einfache Texte lesen kann, wird keinen „normalen“ Roman lesen, zeigt die Erfahrung. Deshalb macht der Verlag diesen Menschen ein Einstiegsangebot zum Lesen. „Wir bieten interessante, einfache Texte auf dem Schwierigkeitsniveau funktionaler Analphabeten,“ fasst Sönke Stiller, Geschäftsstellenleiter in Münster, das Ziel des Verlages zusammen. „ So macht Lesen Spaß und das Lernen geht viel leichter.“
Als Partner der Stiftung Lesen & Schreiben in den Niederlanden setzt Geschäftsführer Ralf Beekveldt auf die „Kraft der leichten Sprache“. „Damit ist nicht Kindersprache gemeint,“ wehrt er ein oft vorgebrachtes Vorurteil direkt ab. Das wäre auch wenig sinnvoll, denn Analphabetismus nimmt mangels Übung mit steigendem Alter zu. Seit 2008 ist er auch in Deutschland aktiv. Zur rechten Zeit- wie die Diskussion um die neue Pisastudie und diverse Leseprojekte auch auf Bundesebene belegen.
Produkte für alle Alters- und Lesegruppen
„Lesen muss man kontinuierlich üben, sonst verliert man die erworbenen Fähigkeiten,“ weiß Ralf Beekveldt. Daher richten sich die Angebote des Verlags an alle Alters- und Lesegruppen ab cirka 14 Jahren. Die Spannbreite der Bücher reicht vom Krimi über das Tagebuch der Anne Frank zu Barack Obama und Volksgeschichten. Daneben informiert die Zeitschrift „Klar & deutlich“ über Politik, Aktuelles aus Sport und Gesellschaft und liefert Hintergrundinformationen. „Teilhabe am Alltag ist eins der wichtigsten Ziele, die wir durch unsere Angebote erreichen wollen,“ so der Geschäftsführer.
Nichtlesenkönnen hat Folgen – persönlich und gesellschaftlich
Funktionaler Analphabetismus ist ein gravierendes Problem in allen Ländern der Industriestaaten. Die OECD-Studie International Adult Literacy Survey (IALS, 1994) ermittelte für Deutschland 9%, die Niederlande 10%, Polen 45%, die USA 24% und Neuseeland 21% funktionale Analphabeten. Just hat die neue Pisastudie belegt, dass 18,5% der 15-jährigen keine ausreichenden oder nur rudimentäre Lesekenntnisse vorweisen kann. (2000 waren es 22,3%) Dem stehen nur 7,6% mit sehr guten Fähigkeiten in dem Bereich gegenüber.
Die Folgen sind sowohl persönlich als auch gesellschaftlich gravierend: Unsicherheit, ein geringes Selbstwertgefühle, mangelnde persönliche Kontakte gehen oft Hand in Hand mit mangelnder Bildung. Geringere Berufschancen, Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit von öffentlichen Kassen sind die Folgen.
Für die Niederlande wurde ermittelt, dass das Risiko der Arbeitslosigkeit sich durch mangelnde Lesefähigkeiten verdoppelt, die Gefahr der Berufsunfähigkeit sich verdreifacht. 75% der Nichtleser haben keine bezahlte Arbeit. Aber auch andere Folgen sind ablesbar: Analphabeten fühlen sich nicht nur weniger gesund (32% vs. 20%), sondern sind es auch: In ihrer Gruppe gibt es sechsmal mehr Herzinfarkte als normal.
Das A-B-C der Lesekompetenzen
Die Fachliteratur unterscheidet zwischen Lese- und Sprachanfängern auf A1 und A2- Niveau, unabhängige Leser erreichen B1 und B2-Level und C1 und C2 sind geübte Leser. Ziel der Verlagsaktivitäten ist das Erreichen des B-Levels durch seine Angebote.
Im Alltag haben funktionale Analphabeten gelernt, ihre Schwäche zu verbergen. Die gängigen Ausreden reichen von der vergessenen Brille über die „unleserliche eigene Sauklaue“ bis dahin, Schreibsituationen vor anderen zu vermeiden: „Ich fülle das später zuhause aus.“
Einfache Sprache – verständlich, eindeutig, präzise
Das Benutzen einfacher Sprache scheitert in der Geschäfts- und Behördenwelt schlicht am Statusdenken: kultur- und stillos, juristisch nicht einwandfrei, nicht ernst zu nehmen lauten die Argumente.
„Dabei ist einfach ganz einfach,“ schmunzelt Ralf Beekveldt. „Kurze Sätze statt Bandwurmgebilde, einfache Wörter statt Fremdwörter, aktiv statt passiv – mit ein paar Umformulierungen ist es oftmals schon getan.“ Beispiele sind Wörter wie vorhaben statt die Absicht haben, deshalb statt folglich, sagen sta