Selbsterfahrung
Abstinenz ist keine Frage des Alters,sondern die absolute und einzige Chance die ein bekennender Suchtkranker hat. Ich heiße Joachim Hoier und bin seit langen Jahren abhängig. Wie es nun mal so ist von verschiedenen Dingen. Man nennt es Polytoxikomanie! Das bedeutet mehrfachabhängig, bei mir sind es Alkohol, Drogen, Tabletten und in der davon abstinenten Zeit, hat sich dieses Verhalten durch mein Leben gezogen. Ich war lange Jahre ein extremer Typ. Extrem waren schon meine Gedanken und da sehe ich heute auch den Schlüssel, mit dem ich durch mein Verhalten das Extreme in mir verändern kann, beziehungsweise andere Wege einleiten kann.
In den letzten zwei Jahren sind mir durch meine traumatischen Erlebnisse, einige Erkenntnisse meines absurden Verhaltens bewusst geworden. Ich habe versucht mich damit zu beschäftigen, was die Ursache für mein Verhalten ist. Mir ist es allein für mich selbst deutlich geworden, das die Gründe meines Lebens in der frühen Kindheit gefallen sind. Ich meine heute, das ich über Jahrzehnte in einem Wiederholungszwang gelebt habe und mir dadurch die eigenen Verhaltensweisen und Bedürfnisse nicht klar geworden sind.
Mit mir und meinem Leben kann ich mich heute anfreunden, das bedeutet für mich auch, dass mir die Möglichkeit bewusst geworden ist, dass ich letztendlich für mich alleine da stehe und das ich mein Leben selbst konsequent zu verantworten habe.
In den letzten Jahren habe ich damit begonnen, mein Leben in Bücher zu verfassen. Das erste Buch trägt den Titel: Die 11. Therapie, ISBN: 978-3-942150-75-0. Der Inhalt des Buches beschreibt mein Leben, mit und zwischen den Therapien, die ich hinter mir habe. Ich lebe bis auf das Zigarettenrauchen abstinent. Ich lebe heute gerne abstinent. Mein Leben hat viele lebensbedrohliche Krisen mit sich gebracht, die schlimmsten hatte ich in den Jahren 1968 - 1979 und 2005 - 2008. Meine erste Langzeittherapie habe ich im Jahr 1979 absolviert, ich war damals 20 Jahre jung. Völlig zerstört, seelisch, geistig und körperlich, wurde ich vor der ersten Therapie in ein Entgiftungskrankenhaus gebracht. In dieser Zeit war mein Leben ständig begleitet von Suizidalität, das fand ich völlig normal, denn von den Schwierigkeiten, die da hinter stecken, ist mir nichts bewusst geworden. Das ich als Kleinkind schlimme traumatische Erlebnisse hatte, die mich immer wieder zum seelischen Absturz gebracht hatten, verdrängte ich lange Jahre und kompensierte diese in extremen Verhaltensweisen. Ich bleib von 1979 - 2005 abstinent. Das waren 26 Jahre, die mir zeitweise auch sehr gefallen haben. Doch in gewisser Weise kam es ständig wieder zu Selbstmordgedanken, die nicht aufgearbeitet wurden und dadurch meine extreme Art in Familie, Beruf und Hobby immer weiter vorangetrieben haben. Trotz regelmäßiger Selbsthilfegruppenbesuche hatte ich nicht verstanden, warum es mir immer wieder sehr schlecht ging. Es lag nicht am Geld oder sonstigem materiellem Mangel. Als Abteilungsleiter verdiente ich genug, um mir neben der Familie auch noch aufwendige Hobbys leisten zu können. Meine Arbeitstage waren manchmal ziemlich hart, doch das gefiel mir gut. Ich brauchte mich nicht um meine psychischen Probleme zu kümmern, das war mir eher lästig als angenehm. So lebte ich mit einer Rosabrille und bildete mir dabei ein, das es keine negativen Dinge gab. Das ich mich darin, auch abstinent lebend nicht verändern brauche, hat mir lange Zeit zudem gefallen. Ich habe eine Familie gegründet, mir ein Haus gekauft und so glaubte ich das Erstrebenswerte in meinem Leben gefunden zu haben. Dass das nicht so war, wollte und konnte ich mir nicht eingestehen. Mir fehlten gänzlich die Grundlagen dafür, warum ich mich so verhalte. Zu meinem Übel dachte ich ja auch immer, wenn ich abstinent lebe kann mir nichts passieren.
Meine Gefühle hielt ich verborgen, beziehungsweise spürte ich nicht einmal mehr. Durch mein rigides Denken lernte ich vielmehr das ich immer Recht habe, denn ich lebe ja abstinent. Ich hatte übersehen, das die Abhängigkeit eine schwere und oftmals tödlich endende Erkrankung ist, die nichts mit Willen zu tun hat. Für mich ist das heute noch erschreckend: Der Suchtkranke hat eine Erkrankung, die Willensschwach macht, trotzdem ist es absolut erforderlich, das der Suchtkranke selbst die Initiative ergreifen muss, um aus dem Teufelskreis der Sucht herauszufinden. Ich finde das ziemlich paradox. Aber es beschreibt auch sehr deutlich, wie heimtückisch die Sucht ist.
Jedenfalls fand ich mich in meinem Verhalten sehr stark und hielt mich daran fest. Dass ich mich selbst dabei ständig überforderte, war mir nicht bewusst. Es war schon eine harte Zeit, doch darüber möchte ich mich nicht beklagen. Denn alle Zeit die ich hatte, war meine Zeit und mir gefällt es viel besser, damit zu leben, was heute ist und auch mit dem was gewesen ist. Denn da denke ich, das ist das einzige was wir von unserem einzigen Leben haben und ich brauche so nicht der Vergangenheit nachzujammern oder zu weit in die Zukunft schauen. Ich meine das wäre destruktiv und erfüllt auch nicht den Sinn meines einzigen Lebens.
Es kam dann auch so, wie es kommen musste. Die Trennung von meiner Frau nahm ich zum Anlass, meinen ersten schweren Suizidversuch zu machen. Ich nahm eine Menge Schlaftabletten und leitete Abgase in mein Auto ein. Ich wachte am nächsten Tag auf der Intensivstation wieder auf! Ich erinnere mich nicht wie ich dort hingekommen bin. Diese Lebensweise in der Suizidalität lebte ich noch drei lange Jahre weiter. Völlig ahnungslos von dem, was da wirklich mit mir los ist. Kurz entschlossen heiratete ich zum zweiten mal, dass die Ehe nicht funktionieren konnte, war mir zwar von Anfang an klar, aber das ignorierte ich einfach. Es kam wieder so wie es kommen musste. Im August 2008 beginng ich meinen zweiten schweren Selbstmordversuch, diesmal mit ungefähr 3,5 Gramm Heroin. Wieder Intensivstation!
Das ging dann so weiter bis Ende 2008. Wieder mit Heroin und diesmal mit Gas aus der häuslichen Gasleitung, beging ich einen dritten Selbstmordversuch. In dem Auto, in dem ich saß, kam das Gas zur Explosion. Ich kann mich nur noch an den Feuerball erinnern. Mit versengten Haaren und völlig berauscht vom Heroin, fuhr ich abends zurück in meine Therapie, die sich als völlig nutzlos herausstellte. Ich bezeichne die Einnahme der Rauschmittel nur schweren Herzens als Rückfall, doch es waren Rückfälle. Allerdings bin ich davon überzeugt, dass das logische Folgen meines Denkens waren. Bereits 1979 war mir schon klar, dass ich, falls ich mich umbringen möchte, dass auf jeden Fall mit Heroin machen werde. Diese abstrakte Denken hat über 26 Jahre gehalten. Die Trennung meiner Frauen, war nur noch Anlass, mein eigenes Denken und Handeln in die Selbstmordversuche umzusetzen.
Nach dem Jahresende 2008 fing ich an mich mit mir ernsthaft auseinanderzusetzen. Ich war verzweifelt mit mir und meinem Leben und in dieser Verzweiflung, sah ich immer wieder schreckliche Bilder aus meiner frühen Kindheit. Die Bilder verfolgten mich über Monate, so ging mein Weg zu einem Psychiater, der mir eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostizierte. Schreckliche Szenen hatten sich in meinem Elternhaus abgespielt. Ich habe damals eine panische Angst bekommen, heute nenne ich diese Angst: "Todesangst". Dazu habe ich mich dann in eine Klinik begeben. Nach der Aufarbeitung dieses Traumas, denke ich, meine Todesangst und die Suizidalität verloren zu haben. Das finde ich sehr erstaunlich und gibt mir Ruhe und Gelassenheit. Wie gesagt lebe ich heute gerne auch gerne abstinent. Ich denke das es die Grundvoraussetzung ist, in diesem Leben zufrieden einen Umgang mit mir selbst zu haben. Das mich ständig in meinen Gefühlen und Gedanken vorwärts trägt, in einem Leben, das im "hier und jetzt", stattfindet. Es lohnt sich auf jeden Fall, mit den Drogen und dem Alkohol aufzuhören. Aber dringend in der Aufarbeitung der Sucht, ist es, zu einem Wissen zu gelangen, welches klar macht, was zu einem Leben gehört und wie ich die Möglichkeit nutzen kann, das alles was ich erlebt habe ein lebendiger Abschnitt ist und erforderlich macht, es als mein Leben anzuerkennen.
Autor: Joachim Hoier
joachimhoier@t-online*
Die 11. Therapie
Verlag: winterwork
ISBN: 978-3-942150-75-0